Familien und Frauen werden von der Politik ignoriert

Wirtschaftszahlen bis 2021: unbezahlte Arbeit unter der Lupe

Genau in dieser Deutlichkeit möchte ich meine Meinung formulieren.
Die Ökonominnen Dr. Christine Rudolf und Dr. Verena Löffler haben ehrenamtlich die Arbeit des Statistischen Bundesamtes übernommen und die Wirtschaftszahlen von 2012 bis 2021 im Bereich unbezahlte Arbeit in Deutschland aufbereitet:
Sie haben die letzten 10 Jahre genau unter die Lupe genommen und dargelegt, dass der private Bereich um ein Vielfaches größer ist, als der öffentliche Bereich.

Während öffentliche Dienstleister, Erziehung und Gesundheit zusammen 2021 eine wirtschaftliche Bruttowertschöpfung von 628 Mrd. € erzielen, sind es im Bereich der privaten Haushalte 2.825 Mrd. €.

Lasst euch das mal auf der Zunge zergehen:

Die Familien leisten mehr als das Dreifache an Sorge- und Versorgungsleistung wie der Staat.

Jetzt können Kritiker natürlich argumentieren, dass das halt so sei. Schon immer so gewesen, Bezahlung durch Liebe, früher wurde auch nicht gejammert.

Doch zu den Fakten:

Die unbezahlte Sorgearbeit steigt nachweislich. Vor allem im Bereich der Sorgearbeit für Kinder und der Pflege.

Haben wir in Deutschland gesamtgesellschaftlich im Jahr 2012 noch 3,73 Mrd. Stunden für Pflege aufgebracht, so waren es im Jahr 2021 6,44 Mrd. Stunden.

Entwicklung der Pflege von Angehörigen 2012-2021

Hatte die Sorgearbeit für Kinder in Privathaushalten im Jahr 2018 noch eine Bruttowertschöpfung von 688 Mrd. €, so waren es im Jahr 2021 898 Mrd. €.

Bruttowertschöpfung der Wirtschaftsbereiche 2018-2021

 

Der Eindruck, dass dies mehr geworden sei, ist also keinesfalls subjektiv.

Während die Erwerbstätigkeit bei Frauen in den letzten Jahren stetig steigt, findet im Privaten keine Entlastung statt. Kollektiv lässt sie der Staat alleine, individuell sind es die Männer.
Obwohl ich in meiner Bubble viele engagierte Männer kenne, die sich ebenfalls für Fürsorgearbeit einsetzen, hat sich insgesamt wenig getan:

Erledigten die Frauen 2012 noch 64 % der unbezahlten Arbeit, so waren es 2021 „nur noch“ 63 %.

Verteilung Frauen und Männer unbezahlte Sorgearbeit 2012-2021

Auch das zeigt, dass Maßnahmen zur Gleichberechtigung auch von staatlicher Seite dringend notwendig sind.
Der aktuelle Bericht der OECD 2024 kommt ebenfalls zu dem Ergebnis, dass familien- und gleichstellungspolitische Maßnahmen nicht mehr ausreichen.
Diese Entwicklungen müssen wir endlich anerkennen. Sie führen dazu, dass Menschen ausbrennen und krank werden.

Das Resultat: Das Gesundheitssystem erfährt eine größere Belastung.

Aktuell fehlt uns immer mehr Wirtschaftskraft durch mangelnde Fachkräfte. Gleichzeitig produzieren wir vor allem unter Frauen Altersarmut, die individuell und kollektiv noch schmerzhaft werden wird.
Zusätzlich wird das gesellschaftliche Vakuum immer größer, solange wir nicht ehrlich und offen über unseren Umgang mit der unbezahlten Arbeit sprechen, Probleme weiterhin ins Private verlagern und keinen gemeinsamen Diskurs über die Zukunft unseres Wohlfahrtsstaates führen.

Die Politik setzt sich bewusst die Scheuklappen auf

Nur so ist u.a. Karl Lauterbachs Überraschung zu erklären, dass die Anzahl der zu Pflegenden von 2022 auf 2023 statt um 50.000 um 360.000 Menschen gestiegen ist.

Die einen sagen, wir hätten keine Zahlen, die anderen erheben sie nicht.

So verwundert es kaum, dass der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland 2023 zu folgender Aussage kommt:
„Die deutsche Forschungsdateninfrastruktur hat sich in einigen Bereichen deutlich verbessert, ist aber im internationalen Vergleich immer noch rückständig.“

Ein Blick bspw. in die Schweiz zeigt, dass statistische Erhebung in vielen privaten Bereichen sehr wohl möglich ist. Entgegen der Aussage einiger Verantwortlichen in Deutschland.

Fazit:

Solange wir nicht in der Lage sind, Daten strukturiert und umfassend zu erheben, haben wir immer viel Meinung und wenig Wahrheit.
Wir brauchen mehr Gleichberechtigung und wir brauchen mehr Anerkennung von unbezahlter Arbeit!

Dafür steht auch die Initiative Unpaid Care Work, die ich gemeinsam mit Franziska Büschelberger initiiert habe. Wir wollen die unbezahlte Sorge-Arbeit sichtbar machen und gemeinsam für mehr Anerkennung und Gerechtigkeit einstehen. Der erste Schritt ist, dass wir diese unbezahlte Arbeit, die gesellschaftlich einen unglaublichen Wert hat und uns auch persönlich entwickelt, nicht länger verstecken, sondern in unseren Lebensläufen zeigen. Anerkennung beginnt bei uns selbst. Gemeinsam mit anderen Initiativen und Verbänden wollen wir dafür einstehen, dass dieser Wert und die Anerkennung auch in unseren gesellschaftspolitischen Systemen verankert werden.

 

Quelle https://www.caringeconomy.jetzt

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3 Antworten

  1. Liebe Katrin, gerade wollte ich Dir schreiben, musste den Brief unterbrechen und habe ihn dabei gekillt.
    Ich willte Dir vorschlagen, statt Fürsorgearbeit lieber Sorgearbeit zu verwenden, der hat sich inzwischen neben Carearbeit durchgesetzt. Die öffentliche Fürsorge wurde geschätzt in den 60er oder 70er Jahren durch Sozialarbeit ersetzt, weil Fürsorge nach Bevormundung und Einmischung klingt.Allerdings ist Sozialarbeiter ist auch nicht sehr glücklich, wer nennt sich schon freiwillig Arbeiter.

    Auf weitere Zusammenarbeit und liebe Grüße Gudrun

    1. Liebe Gudrun,
      ich danke dir für diesen Hinweis und habe Fürsorge- durch Sorge-Arbeit ersetzt.
      Auch ich freue mich sehr auf unsere weitere Zusammenarbeit und sende dir herzliche Grüße
      Katrin

  2. Danke Dir, liebe Katrin 🙏

    Ich danke euch für eure Initiative bezüglich #UnpaidCareWork und den grossartigen Austausch 🫶

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Hallo, ich bin Katrin Fuchs, studierte Betriebswirtin, ausgebildete Vereinbarkeitsmanagerin und Coach

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