Jede Frau, die sich mit dem Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie auseinandersetzt, hat ihn schon einmal gehört: den gut gemeinten Rat „Augen auf bei der Partnerwahl“. Gemeint ist damit, dass Frauen es selbst in der Hand hätten, ob sie nach der Geburt eines Kindes in eine überfordernde Care-Arbeitsfalle geraten oder nicht. Der Subtext? Wählst du den richtigen Mann, dann hast du kein Problem. Wählst du den falschen, bist du selbst schuld.
Doch dieser Satz hat einen entscheidenden Haken: Er blendet strukturelle Realitäten aus. Und genau diese Realitäten schlagen spätestens nach der Geburt eines Kindes mit voller Wucht zu – ein Phänomen, das als „Patriarchatsschock“ beschrieben wird.
Was ist der Patriarchatsschock?
Der Begriff beschreibt den Moment, in dem Frauen nach der Geburt ihres ersten Kindes feststellen, dass ihre theoretischen Vorstellungen von Gleichberechtigung und gelebte Realität weit auseinanderklaffen. Vor der Geburt des Kindes fühlen sich viele Frauen gleichberechtigt: Sie haben studiert, arbeiten erfolgreich, teilen sich Miete und Mental Load mit ihrem Partner. Doch mit der Geburt ändert sich alles – oft plötzlich, fast unbemerkt, aber tiefgreifend.
Warum passiert das?
Weil unser gesamtes System darauf ausgelegt ist, Frauen in die primäre Care-Rolle zu drängen. Plötzlich stehen sie vor folgenden Herausforderungen:
- Mutterschutz und Elternzeit: Frauen bleiben häufig länger zuhause, weil es finanziell „mehr Sinn macht“. Die Gender Pay Gap sorgt dafür, dass ihr Einkommen ohnehin oft niedriger ist.
- Fehlende Vorbilder: Um sie herum gibt es viele Mütter, die ebenfalls in Teilzeit arbeiten oder sich aus dem Beruf zurückziehen. Das setzt soziale Normen, die kaum hinterfragt werden.
- Externe Erwartungen: Arbeitgeber, Familie, Freundeskreis – alle gehen davon aus, dass sie sich primär um das Kind kümmern wird.
- Mental Load: Selbst wenn ihr Partner sich gleichberechtigt engagiert, bleibt oft die Organisation der Familienaufgaben in ihrer Verantwortung.
- Karriereknick: Frauen, die weniger oder in Teilzeit arbeiten, verlieren langfristig an beruflicher Entwicklung, während Männer meist ungebremst weitermachen können.
Kurz gesagt: Viele Frauen wachen nach der Geburt in einer Welt auf, die sie so nie erwartet oder gewollt haben. Und das liegt nicht daran, dass sie den falschen Partner gewählt haben – sondern daran, dass unser gesellschaftliches System auf diese Veränderung ausgelegt ist.
Warum „Augen auf bei der Partnerwahl“ nicht ausreicht
Natürlich ist es hilfreich, vor der Familiengründung über Werte, Gleichberechtigung und Aufgabenverteilung zu sprechen. Doch selbst wenn der Partner dieselben Werte teilt, ist das keine Garantie für eine wirklich gleichberechtigte Aufteilung nach der Geburt. Denn:
- Strukturelle Zwänge beeinflussen individuelle Entscheidungen
Auch der fortschrittlichste Partner kann sich den wirtschaftlichen Realitäten nicht entziehen. Wenn die Frau weniger verdient, ist es für viele Paare wirtschaftlich „logisch“, dass sie länger in Elternzeit bleibt. - Soziale Normen sind mächtiger als Absichten
Studien zeigen, dass selbst Paare, die sich Gleichberechtigung vornehmen, oft unbewusst in traditionelle Rollen rutschen. Das Umfeld, gesellschaftliche Erwartungen und eigene Glaubenssätze spielen dabei eine größere Rolle, als viele annehmen. - Care-Arbeit ist unsichtbar – und schwerer zu verhandeln
Während Erwerbsarbeit klar messbar ist, bleibt Care-Arbeit oft unsichtbar. Selbst wenn ein Partner bereit ist, mehr zu übernehmen, fehlt es oft an einem Bewusstsein dafür, wie viel Arbeit wirklich anfällt. - Arbeitsmarkt und Politik erschweren echte Gleichberechtigung
Fehlende Kitaplätze, wenig flexible Arbeitszeitmodelle und ein Steuer- und Rentensystem, das die klassische Rollenverteilung begünstigt, sorgen dafür, dass Frauen mehr strukturelle Hürden überwinden müssen, um Erwerbsarbeit und Familie zu verbinden.
Was wäre stattdessen ein hilfreicher Rat?
Anstatt Frauen allein die Verantwortung für die Partnerwahl zuzuschieben, sollten wir darüber sprechen, wie echte Gleichberechtigung möglich wird:
✅ Offene Gespräche VOR der Geburt: Nicht nur „Wäre es nicht schön, wenn wir uns alles teilen?“, sondern konkrete Planung: Wer nimmt wie viel Elternzeit? Wer kümmert sich um was? Wie fangen wir unvorhergesehene Herausforderungen auf?
✅ Bewusstwerden über strukturelle Einflüsse: Informieren, reflektieren und erkennen, dass gesellschaftliche Faktoren genauso wichtig sind wie individuelle Entscheidungen.
✅ Klarheit über berufliche Ziele: Frauen sollten sich aktiv fragen: Wie möchte ich beruflich weitermachen? Was brauche ich dafür? Welche Vereinbarungen muss ich mit meinem Partner treffen?
✅ Unterstützung einfordern: Netzwerke nutzen, mit anderen Frauen austauschen, rechtliche und finanzielle Informationen frühzeitig einholen.
✅ Politische und betriebliche Rahmenbedingungen einfordern: Arbeitgeber und Politik sind gefragt, Elternzeitmodelle, Kita-Ausbau und flexiblere Arbeitszeiten zu fördern.
Fazit: Mehr als eine private Entscheidung
„Augen auf bei der Partnerwahl“ ist ein Spruch, der viel zu kurz greift. Er verschiebt die Verantwortung auf Frauen und ignoriert die strukturellen Realitäten, die nach der Geburt eines Kindes eintreten. Stattdessen müssen wir uns fragen: Wie können wir als Gesellschaft Vereinbarkeit fördern? Welche politischen und betrieblichen Rahmenbedingungen brauchen wir? Und wie können wir Frauen und Männer gleichermaßen dazu ermutigen, Care-Arbeit fair zu teilen?
Denn Gleichberechtigung ist keine Frage der richtigen Partnerwahl – sondern eine gesellschaftliche Aufgabe.