Die politischen Anforderungen seitens der Politik an Eltern finde ich zunehmend schwierig zu interpretieren und zu leben.
Einerseits haben wir einen lauten Ruf danach, dass Mütter einen größeren Anteil an der Erwerbsarbeit haben sollen.
Um in einem durchschnittlichen Beruf eine Rente zu erwirtschaften, die auch im Alter ausreicht, müssen wir fast dauerhaft in Vollzeit arbeiten. Da für Kindererziehung nur drei Jahre für die Rente berücksichtigt werden, muss, wer einen soliden Rentenanspruch haben will, nach Ablauf der drei Jahre wieder nahezu Vollzeit ins Erwerbsleben einsteigen.
Aber auch um die Wirtschaft am Laufen zu halten, müssen offenbar alle arbeitsfähigen Menschen aktiviert werden. Nur so ist es zu erklären, warum Michael Kretschmer vor einigen Wochen laut darüber sinnierte, dass es kein Recht auf Teilzeit mehr geben sollte oder Sigmar Gabriel jüngst zur Aussage kommt: „Es gibt in Deutschland 260.000 junge Menschen zwischen 25 und 45, die seit längerer Zeit nicht arbeiten, obwohl sie alle Kriterien für Erwerbstätigkeit erfüllen.“ Ob er dabei die Hindernisse berücksichtigt hat, die die Möglichkeit einer Erwerbstätigkeit einschränken?
Fazit: Eltern sollen und müssen möglichst viel erwerbsarbeiten. Politisch scheint das favorisierte Modell, dass beide Elternteile in Vollzeit arbeiten gehen.
Das ist die Forderung. Doch was ist notwendig, um dieser Forderung überhaupt nachkommen zu können? Ob das alle wollen, lasse ich an dieser Stelle noch offen.
Es braucht flächendeckende, qualitativ hochwertige, verlässliche und bezahlbare Kinderbetreuung
Ich kann dann gut und viel arbeiten, wenn ich mein Kind gut betreut weiß.
Hier wird allerdings zu wenig getan. Der Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz ist stellenweise vergleichbar mit dem Rechtsanspruch auf ein eigenes Glitzereinhorn. Warten, prozessieren oder mangels Qualität und/oder Verfügbarkeit dann doch die Betreuung selbst zu übernehmen – das gehört leider zum deutschen Familienalltag. Oft gibt es dort, wo es freie Kita-Plätze gibt wenig Arbeit. nicht jede/r kann remote arbeiten. In Ballungsräumen wie aktuell bspw. München sind die Zustände verheerend.
Wenn Eltern mehr Zeit mit Erwerbsarbeit verbringen (was sie bereits tun) und ihre Kinder früher und länger in Betreuung geben möchten (auch dieser Wunsch existiert bei vielen Familien), dann verändert sich die Aufgabe der Bildungseinrichtungen.
Sie sind in Zukunft nicht mehr nur für Bildung zuständig, sondern bilden für die Kinder einen zusätzlichen Lebensraum mit allem, was dazu gehört:
📚 Wertevermittlung
📚 Erziehungsaufgaben
📚 Kurzum: Dinge, die früher im Elternhaus stattfanden
Darauf ist aktuell weder die Infrastruktur noch das Personal vorbereitet.
In diesem Zwiespalt verlieren sich immer mehr Eltern (und nicht nur die, das gesamte System verliert sich darin) – zu Lasten der Kinder:
⚡ Sie sollen/müssen mehr arbeiten
⚡ Sie wissen ihre Kinder nicht gut betreut und wollen/sollen/müssen sich um sie kümmern.
Wie soll beides gleichzeitig gut funktionieren? Ist das nicht ein Anspruch, der zum Scheitern verurteilt ist?
Wie weit die Rahmenbedingungen von der Lebensrealität der Eltern abweichen, zeigt sich eindrucksvoll an der Anzahl schulfreier Tage, die die Anzahl der Ferientage der Eltern bei weitem übersteigt.
Wir brauchen als Eltern für unsere Kinder:
🧒🏼 Die Möglichkeit für unsere Kinder Zeit zu haben, wenn es keine adäquate Betreuung gibt, ohne dabei Einkommensverlust zu erleiden.
Elternschaft muss als Diskriminierungsmerkmal im Gesetz verankert werden. Das fordern Karline Wenzel und Sandra Runge schon länger.
🧒🏼 Konsequente Investitionen in die Betreuungsinfrastruktur. Ausreichendes und ausgebildetes Personal müssen unseren Kindern eine verlässliche Betreuung und einen guten Lebensraum ermöglichen.
🧒🏼 Eine Reform unseres Schulsystems. Schulen dürfen nicht länger schließen als Eltern Ferien haben. Schulstoff muss komplett in der Schule vermittelt werden. Sobald Hausaufgaben zum Lernerfolg beitragen, werden die Eltern zu Hilfslehrern und Bildungsgerechtigkeit kann nicht erreicht werden.
Entweder können Eltern ohne finanziellen Nachteil für ihre Kinder Zuhause bleiben oder sie müssen ihren Lebensunterhalt verdienen und brauchen funktionierende Räume für ihre Kinder in dieser Zeit.
Es braucht Maßnahmen, die Väter motivieren Sorgearbeit zu übernehmen
Maßnahmen auf unternehmerischer Ebene
Flexible Arbeitszeiten
Maßnahmen:
- Gleitzeitmodelle: Einführung von Gleitzeit, die es den Mitarbeitenden ermöglicht, ihre Arbeitszeiten innerhalb eines bestimmten Rahmens selbst zu bestimmen.
- Vertrauensarbeitszeit: Verzicht auf die detaillierte Zeiterfassung und mehr Vertrauen in die Selbstorganisation der Mitarbeitenden.
- Individuelle Arbeitszeitmodelle: Anpassung der Arbeitszeiten an die individuellen Bedürfnisse, z.B. durch Teilzeit, Kurzarbeit, oder flexible Stundenkontingente.
Vorteile:
- Vereinbarkeit von Beruf und Familie: Mitarbeiter*innen können ihre Arbeitszeiten an familiäre Verpflichtungen anpassen, was besonders für Eltern und pflegende Angehörige wichtig ist.
- Erhöhte Zufriedenheit und Produktivität: Flexibilität kann die Work-Life-Balance verbessern und die Produktivität steigern.
Homeoffice-Regelungen
Maßnahmen:
- Homeoffice-Richtlinien: Klare Richtlinien und Vereinbarungen über die Möglichkeiten und Erwartungen im Homeoffice.
- Technische Ausstattung: Bereitstellung der notwendigen technischen Ausrüstung und IT-Support für das Arbeiten von zu Hause aus.
- Virtuelle Zusammenarbeit: Förderung von Tools und Plattformen für virtuelle Meetings und Zusammenarbeit.
Vorteile:
- Zeitersparnis und weniger Pendelstress: Reduktion des Arbeitswegs spart Zeit und verringert Stress.
- Erhöhte Flexibilität: Mitarbeitende können ihre Arbeit besser in den Alltag integrieren.
Job-Sharing bzw. Führung in Teilzeit
Maßnahmen:
- Job-Sharing-Modelle: Zwei Mitarbeitende teilen sich eine Vollzeitstelle und koordinieren ihre Aufgaben und Verantwortlichkeiten.
- Teilzeit-Führungskräfte: Einführung von Teilzeitmodellen auch für Führungskräfte, um eine bessere Vereinbarkeit von Führungsaufgaben und Privatleben zu ermöglichen.
- Mentoring und Unterstützung: Unterstützung durch Mentoring-Programme, um Führungskräfte in Teilzeit erfolgreich zu machen.
Vorteile:
- Erhöhung der Frauenquote in Führungspositionen: Teilzeitmodelle und Job-Sharing machen Führungsrollen für Frauen attraktiver und besser vereinbar mit familiären Verpflichtungen.
- Diverse Perspektiven: Zwei Personen in einer Führungsrolle können unterschiedliche Perspektiven und Kompetenzen einbringen, was zu besseren Entscheidungen führen kann.
Rolemodels
Maßnahmen:
- Förderung von Vorbildern: Sichtbare Förderung von Frauen und Männern, die flexible Arbeitsmodelle erfolgreich nutzen.
- Kommunikation: Öffentlichkeitsarbeit und interne Kommunikation, die erfolgreiche Rolemodels und deren Wege in Führungspositionen hervorhebt.
- Mentoring-Programme: Einrichtung von Mentoring- und Sponsoring-Programmen, um Mitarbeitende zu unterstützen und ihnen Wege aufzuzeigen.
Vorteile:
- Inspiration und Motivation: Rolemodels können andere Mitarbeitende inspirieren und ihnen zeigen, dass Gleichstellung und beruflicher Erfolg vereinbar sind.
- Kulturwandel: Die Präsenz von Rolemodels kann zu einem Kulturwandel im Unternehmen beitragen und traditionelle Rollenbilder aufbrechen.
Maßnahmen auf politischer Ebene
Ausgleich des Gender Pay Gap
- Maßnahmen zur Lohntransparenz: Es gibt zwar Gesetze zur Lohntransparenz, aber ihre Durchsetzung ist oft ineffektiv. Unternehmen sind nicht immer verpflichtet, die Löhne offen zu legen, was die Bekämpfung des Gender Pay Gaps erschwert.
- Minijobs: Frauen arbeiten häufiger in Teilzeit oder Minijobs, die oft schlechter bezahlt werden und weniger Aufstiegschancen bieten. Minijobs sind oft sozialversicherungsfrei, sodass keine Rentenansprüche entstehen aus dieser Tätigkeit. Das kann zu Altersarmut führen und unterstützt finanzielle Abhängigkeit.
Mehr Unterstützung in der Elternzeit
- Einführung der Familienstartzeit: Seit März 2023 befindet sich der Gesetzentwurf zum sogenannten Familienstartzeitgesetz in der Ressortabstimmung. Eigentlich hätte die zweiwöchige bezahlte Freistellung nach Geburt für Väter und zweite Elternteile Anfang 2024 in Kraft treten sollen, aber eine Einigung dazu innerhalb der Bundesregierung ist noch immer nicht in Sicht
- Elternzeitregelungen: Obwohl es Elternzeit gibt, nehmen Männer deutlich weniger Elternzeit als Frauen. Das ElterngeldPlus und Partnermonate sind ein Schritt in die richtige Richtung, jedoch könnte eine verpflichtende Elternzeit für beide Elternteile zu mehr Gleichberechtigung führen. Auch die Ausweitung der Möglichkeiten, wie bspw. in Schweden, wo Elternzeit auf Großeltern oder familiennahe Personen übertragen werden kann, kann extrem hilfreich sein – vor allem für Alleinerziehende.
- Betreuungsinfrastruktur: Wenn kein Kita-Platz angeboten werden kann, sollte das Elterngeld solange weiterbezahlt werden, bis ein Platz zur Verfügung steht. Nach Ablauf des Elterngeldbezugs erhalten Eltern nämlich kein Geld mehr. Wenn nun kein Kita-Platz zur Verfügung steht, Elterngeldbezug ausgelaufen ist, dann stehen Eltern vor finanziellen Schwierigkeiten. Arbeitslosengeld gibt es keins, denn ohne Betreuungsplatz steht man dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung.
Steuer- und Sozialversicherungssystem
- Ehegattensplitting: Das Ehegattensplitting mit dem Faktorverfahren 5/3 begünstigt traditionelle Familienmodelle und stellt einen finanziellen Anreiz dar, wenn ein Partner (meist die Frau) weniger oder nicht arbeitet. Warum soll die Streichung der Steuerklassen 5 und 3 erst 2030 erfolgen?
- Kranken- und Pflegeversicherung: Auch die beitragsfreie Mitversicherung von nicht erwerbstätigen Ehepartnern kann Anreize schaffen, dass ein Partner nicht berufstätig ist.
Fazit
Die oben genannten Vorschläge sind noch lange nicht abschließend. Neue Wege zu gehen, erfordert Mut und Vorstellungskraft und den Willen zur Veränderung. Wir fordern Parität der Geschlechter im Erwerbsleben, fördern aber in weiten Teilen noch ein traditionelles Einverdienermodell und sind nicht bereit an Strukturen, die das Ergebnis einer traditionellen Rollenverteilung sind, zu rütteln. Das fühlt sich an, als sollte man in einem Oldtimer plötzlich in der Formel 1 mitfahren. Wie soll damit umgegangen werden? Was ist deine Meinung? Wie sollten und können wir dieses Dilemma lösen?