Eine Zeitreise zu den Wurzeln weiblicher Kraft
Manchmal gibt es Abende, die bleiben. Nicht, weil sie laut sind – sondern weil sie still etwas in uns in Bewegung setzen.
So war es, als Kathrin Blum aus ihrem Buch „Hexen – Geheimnisse und Schicksale weiser Frauen“ las.
Kathrin nahm uns mit auf eine faszinierende Reise durch 9.000 Jahre Geschichte. Zu den Anfängen weiblicher Spiritualität, zur Macht des Wissens, und zu den Wunden, die Jahrhunderte später noch immer nicht ganz verheilt sind.

Die Anfänge: Weibliches Wissen als heilige Gabe
Alles begann in der Mittelsteinzeit – rund 9.000 Jahre zurück.
In Bad Dürrenberg wurde das Grab einer Frau entdeckt, die als Schamanin verehrt wurde.
Durch eine Anomalie ihres Halswirbels konnte sie sich gezielt in Trance versetzen. Für diese Fähigkeit wurde sie hochgeschätzt. Ihr Wissen, ihre Verbindung zur Natur, ihre spirituelle Kraft galten als etwas Kostbares.
In dieser Zeit war weibliches Wissen keine Bedrohung, sondern ein Geschenk. Frauen galten als Hüterinnen von Leben, Heilung und Übergängen.
Vom Heil zur Häresie: Der Wandel durch die Christianisierung
Mit der Christianisierung Europas begann sich das Blatt zu wenden.
Was zuvor heilig war, wurde nun heidnisch.
Was einst Wissen war, wurde zu Aberglauben erklärt.
Der Monotheismus ließ keinen Platz für vielfältige Formen des Glaubens.
„Heidnische Magie“ wurde dämonisiert, weibliche Spiritualität als Werk des Teufels verurteilt.
Ende des 10. Jahrhunderts tauchte erstmals das Wort „Hexe“ auf – ein Begriff, der zum Synonym für Angst, Verfolgung und Gewalt werden sollte.
Angst, Macht und Wahnsinn: Die Zeit der Hexenverfolgung
Ab dem 13. Jahrhundert begann eine der dunkelsten Epochen Europas: die Hexenverfolgung.
Papst Johannes XXII. legte mit seiner Bulle, die Hexerei der Ketzerei gleichsetzte, den Grundstein für Jahrhunderte der Folter und Denunziation.
Der „Hexenhammer“, verfasst vom Dominikanermönch Heinrich Kramer, verfestigte das Bild der Frau als von Natur aus schwach, sündig und anfällig für das Böse. Seine Worte entfalteten eine verheerende Wirkung.
In einer Zeit geprägt von der kleinen Eiszeit, Pest und Kriegen suchten die Menschen nach Schuldigen.
Und sie fanden sie. In den Frauen ihrer Nachbarschaft.
In manchen Orten wie Ellwangen wurden fast die Hälfte aller Frauen und viele Männer grausam ermordet.
Geständnisse wurden unter Folter erzwungen.
Niemand war sicher.
Je mehr Macht ein einzelner Mann besaß, desto grausamer konnte das Urteil ausfallen.
Das Ende der Verfolgung und das lange Schweigen danach
Erst Friedrich Wilhelm von Preußen setzte im 18. Jahrhundert ein Ende.
Zunächst schaffte er die Folter ab, später die Hexenprozesse.
Nicht aus Mitgefühl – sondern, weil man wieder gesunde Steuerzahlerinnen brauchte.
Doch das Grauen blieb unausgesprochen.
Jahrhunderte lang schwieg man über die Verfolgung, über das, was Frauen einander und sich selbst verloren hatten: Vertrauen.
Die „Hexenwunde“ – ein transgenerationales Trauma
Bis heute, so Kathrin, trägt unsere Gesellschaft die „Hexenwunde“ in sich.
Das Misstrauen, die Angst vor Denunziation, das Schweigen.
Die brüchige Solidarität unter Frauen. All das hat seine Wurzeln in dieser Zeit.
Erfahrungen späterer Generationen – durch die NS-Zeit oder die Stasi – haben diese Angst verstärkt.
Viele Frauen spüren sie bis heute:
Die Sorge, „zu viel“ zu sein, aufzufallen, verurteilt zu werden.
Rückkehr zur Verbundenheit: Die Magie kehrt zurück
Doch die Geschichte endet nicht in der Dunkelheit.
Heute beginnt eine neue Auseinandersetzung.
In vielen Städten entstehen Denkmäler, Gedenkinitiativen und Bildungsprojekte.
2016 entschuldigte sich Papst Franziskus öffentlich für die Hexenprozesse.
Und auch das Denken verändert sich:
2017 wurde in Neuseeland der Whanganui River als juristische Person anerkannt. Ein Schritt, der an alte naturverbundene Weltbilder erinnert.
Mittlerweile haben weltweit acht Flüsse eigene Rechte.
Die Idee, dass Natur lebendig, beseelt und schützenswert ist, findet wieder Gehör, ganz im Sinne jener Frauen, die einst dafür verfolgt wurden.
Fazit: Alte Wunden, neue Wege
Kathrin Blums Lesung war keine trockene Geschichtsstunde.
Sie war eine Einladung zum Erinnern und zum Heilen.
Eine Erinnerung daran, dass weibliches Wissen, Intuition und Verbundenheit mit der Natur keine Gefahr sind, sondern Quellen der Stärke.
Was bleibt?
Vieles von dem, was wir an diesem Abend gehört haben, kommt uns – in anderer Form – auch heute wieder bekannt vor.
Männer, die ihre Macht sichern wollen, indem sie andere kleinhalten.
Der Drang, Schuldige zu suchen, wenn das eigene Leben nicht so verläuft, wie man es sich erhofft hat.
Und wie schnell Denunziation, Misstrauen und Spaltung wieder zum Werkzeug werden, wenn es dem eigenen Vorteil dient.
Wir können so viel lernen aus dieser Geschichte.
Darüber, wie gefährlich Angst werden kann und wie heilsam Verbindung ist.
Darüber, dass Unterdrückung niemals Stärke schafft, sondern nur Leid.
Und dass all das Elend, all die Gewalt, all die Kontrolle am Ende nichts gebracht haben.
Vielleicht liegt genau darin unsere Aufgabe heute:
Nicht wegzuschauen, wenn Unrecht geschieht.
Nicht zu schweigen, wenn andere diffamiert werden.
Sondern uns zu erinnern und gemeinsam neue Geschichten von Solidarität, Mut und Mitgefühl zu schreiben.
Wer tiefer in diese faszinierende Geschichte eintauchen möchte, dem sei Kathrins Buch wärmstens empfohlen.
Hexen – Geheimnisse und Schicksale weiser Frauen
Und wer Kathrins Stimme hören möchte, kann hier in ihre Lesung hineinhören:
Zur Lesung auf YouTube