Warum Elternschaft heute anders ist als früher
Immer wieder hören Eltern von Menschen, die keine Kinder mehr im eigenen Haushalt haben: „Früher ging es doch auch, da hat man sich nicht so angestellt, da wurde weniger gejammert, da hatte man keine derartigen Luxussorgen, etc.“.
Damit werden Diskussionen beendet oder garnicht erst zugelassen und junge Eltern fühlen sich oft unverstanden. Gleichzeitig beginnt der Zweifel aber zu nagen, denn haben diese Menschen nicht irgendwie recht? Waren die Eltern früher, obwohl sie über weniger Wohlstand verfügten und mehr Kinder hatten, nicht doch glücklicher und haben sich weniger Gedanken gemacht?
Wie in vielen Diskussionen, ist es aber einfach schwierig, das „Früher“ mit dem „Heute“ zu vergleichen. Denn Vieles hat sich verändert. Prioritäten, unser Gesellschaftssystem, der Zeitgeist und vieles mehr.
Daher habe ich ein paar Argumente aufgelistet – diese Liste ist sicherlich nicht abschließend – was Elternschaft von heute anders macht und weshalb Vergleiche nicht gezogen werden können:
Früher hatten wir ein „Dorf“
Wir lebten in größeren Familien, hatten verschiedene Generationen in unmittelbarer Nähe. Das war sicherlich oft anstrengend aber auch entlastend. Es gab aber auch mehr Kinder in den Straßen, mit denen die eigenen Kinder spielen konnten. Heute gibt es weniger Kinder und viele sind länger betreut, haben zahlreiche Hobbys und die Straße vor der Tür ist oft nicht mehr voller anderer Kinder.
Früher hatten wir einen anderen Zeitgeist
Das Individuum stand früher hinter dem kollektiven Interesse zurück. Die Menschen hatten zu funktionieren. Ob das in der Nachkriegszeit der BRD oder im System der DDR war. Das war auch für die Menschen damals hart und nicht immer freudvoll.
Dennoch haben sich die Zeiten verändert. Heute leben wir bewusster und mit dem Anspruch, unser Leben selbstbestimmt zu gestalten. Wir achten auf unsere Gesundheit und wissen, dass Beziehungen die Grundlage für ein erfülltes Leben sind. Ein erfülltes Leben zu führen, steht heute mehr im Mittelpunkt, als es das früher oft tat.
Früher waren die Rollen klar verteilt
Der Mann sorgte für das Einkommen, die Frauen waren für Care- und Hausarbeit zuständig. Heute leisten viele Partner beides gleichzeitig, die gemeinsame Erwerbsarbeit ist gestiegen (muss sie oft auch, denn sonst können sich viele Familien ein Leben an dem Ort, an dem sie leben, nicht mehr leisten). Wir haben heute auch andere Erwartungen an unsere Partnerschaft und leben sie auf eine unabhängigere Art und Weise. Das Unterhaltsrecht hat sich verändert, was dazu führt, dass die finanzielle Unabhängigkeit heute deutlich wichtiger ist, als sie es früher war.
Wir verbringen heute mehr Zeit mit unseren Kindern
Sicherlich war es zu keiner Zeit einfach, Kinder zu erziehen. Doch wird sich heute oft viel mehr Mühe gegeben, auf die Bedürfnisse der Kinder Rücksicht zu nehmen. Autoritäre Erziehungsmethoden gehören der Vergangenheit an. Den Kindern zu erklären, ihnen den Raum zum Ausprobieren zu lassen, all das kostet viel Zeit und Energie.
Dazu kommt, dass wir unsere Kinder heute mehr fördern. Logopädie, Kinderturnen etc. Wir tun alles, damit unsere Kinder maximal in ihrer Entwicklung unterstützt werden.
Eine Studie des DIW Berlin (Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung) aus dem Jahr 2018 zeigt, dass Mütter und Väter in Deutschland in den letzten Jahrzehnten mehr Zeit für die Kinderbetreuung aufwenden. Laut der Studie stieg die wöchentliche Zeit, die Eltern in Deutschland mit der Betreuung ihrer Kinder verbringen, seit den 1980er Jahren um etwa 40–50 %.
In Zeiten von Kitakrise und Betreuungsnotstand steigen diese Zeiten weiter an.
Wir leben in einer schnelllebigen Zeit
Moderne Technik macht vieles möglich und ist oft überfordernd. Grenzen zu ziehen fällt vielen zunehmend schwerer. „Nur noch schnell“ dies und das nebenbei. Wir verlieren mitunter den Fokus, sind mit unserem Kopf nicht dort, wo die Füße stehen. Das strengt an.
Das kann man Eltern aber nicht zum Vorwurf machen. Natürlich können wir alle darauf achten, uns nicht im digitalen Urwald zu verirren. Dennoch verändern sich die Anforderungen, ob wir das wollen oder nicht. Eine Schul-App für die Bestellung des Mittagessens, eine andere für den Stundenplan und Schulinfos, eine WhatsApp-Gruppe für den Fussballverein und eine weitere vom Elternbeirat des Kindergartens… dazu hybrides Arbeiten und Home-Office. Niemand möchte das missen, doch Abgrenzung und Trennung von Freizeit und Arbeitszeit wird dadurch zu einer zusätzlichen Herausforderung.
Die Erwartungshaltung an Eltern, vor allem an Mütter ist riiiiiesig
Kabarettist Florian Schröder hat das schön zusammengefasst:
„Was muss die Frau alles sein?
Sie muss topmodelschlank sein, aber sie muss auch Kinder wollen. Sie muss sie im richtigen Moment wollen – also nicht mit 20 aber auch nicht mit 40. 20 ist zu früh, 40 ist zu spät.
Sie muss die richtige Zahl der richtigen Kinder mit dem perfekten Mann im richtigen Moment kriegen. Die richtige Zahl ist nicht eins, das ist „ego“, aber auch nicht fünf, das ist „asi“. Es muss irgendwo dazwischen liegen.
Wenn sie die Kinder hat, muss sie arbeiten, sie muss Karriere machen. Und zwar selbstbewusst.
Aber nicht als Emanze.
Aber emanzipiert muss sie sein. Selbstbewusst, emanzipiert, feministisch organisiert und überhaupt gut drauf.
Und während sie Karriere macht, muss sie gleichzeitig zu Hause bleiben. Sie darf keine Rabenmutter sein. Und wenn sie zu Hause ist, muss sie trotzdem Karriere machen.
Sie muss weiterhin topmodelmagerschlank sein.
Man darf ihr die Kinder, die sie gekriegt hat, nicht ansehen.
Zu Hause muss sie außerdem Hure, Liebhaberin, beste Freundin, Mutter und alles auf einmal sein.
Und den Stress, den sie hat, den darf man niemals spüren!“
Viele kennen dieses Video sicher. Falls nicht… hier – weil es einfach so schön und traurig gleichzeitig ist.
Die Sorgearbeit in den Familien steigt stetig an
Die durchschnittliche Sorgezeit pro Woche für Kinder stieg von 2012 von 17,74h auf 2021 21,59h. Kollabierende Betreuungssysteme sorgen dafür, dass sich dieser Trend fortsetzen wird. Hinzu kommt die alternde Gesellschaft. Während wir 2012 im Schnitt 2,53h pro Woche für die Pflege von Angehörigen aufgewendet haben, so waren es 2021 bereits 4,3h pro Woche. Auch hier ist die Tendenz steigend. Wir arbeiten bezahlt und unbezahlt stetig mehr Stunden als Familie (beide Partner zusammen betrachtet).
Einen ausführlichen Blog-Beitrag habe ich auch zu diesem Thema bereits geschrieben. Den findest du hier „Familien und Frauen werden von der Politik ignoriert.“
Wir können darüber philosophieren, ob das alles so sein muss. Es ändert aber oft nichts daran, dass es einfach so ist.
Dass die Zahl der Familien, die gefühlt an den Anschlag kommen, stetig zunimmt.
Individuell können wir versuchen, Druck aus dem System zu nehmen.
Als Gesellschaft müssen wir an die Rahmenbedingungen.
Was jede*r von uns direkt umsetzen kann: Zuhören, Verständnis zeigen, Miteinander leben, Unterstützung leisten für einander da sein. Denn das ist der Kern unserer Gesellschaft ohne das nichts richtig funktioniert.