Obwohl es im aktuellen Koalitionsvertrag einen eigenen Abschnitt gibt, der sich „Gleichstellung“ (s.91) nennt und in dem u.a. die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen geschlossen werden sollen, haben wir immer noch eine strukturelle Benachteiligung von Frauen in unserem Steuersystem.
Frauen erleben bis heute strukturelle Benachteiligung
Immer wieder wird gesagt, dass die Gleichstellung doch bereits erreicht sei und es eine Frage des Willens und der eigenen Prioritäten sei, ob man sie lebt oder eben nicht. Paare müssten das schließlich miteinander ausmachen. Es ist weder die Aufgabe des Staats noch der Gesellschaft als Ganzes, in diese individuellen Aushandlungsprozesse einzugreifen.
Doch ist das wahr?
Fakt ist:
Wir haben einen GenderPayGap: Frauen verdienen im Schnitt 18 % weniger als Männer (bereinigt, d.h. bei vergleichbarer Arbeit, beträgt er immer noch 6%). Allein das sorgt schon für eine ordentliche Benachteiligung.
Frauen übernehmen 60% der unbezahlten Arbeit, was dazu führt, dass sie weniger Zeit zur Verfügung haben, in der sie bezahlt arbeiten können.
Das resultiert in einem Gender Pension Gap von mehr als 40% und führt dazu, dass ein durchschnittlicher westdeutscher Mann in seinem Leben ca. 1,5 Mio. € verdient, während es bei einer westdeutschen Frau im Schnitt ca. 600.000€ Lebenserwerbseinkommen sind.
Unser deutsches Steuersystem unterstützt die Entstehung dieser Gaps
Warum?
39% aller verheirateten Paare lassen sich nach den Steuerklassen 5 und 3 besteuern. Nach wie vor ist dieses Modell eines, das gerne von Steuerberatern empfohlen wird und immer noch als die Variante gilt, in der das Paar am steuerlich am wenigsten belastet wird.
Allein diese Aussage ist schon falsch. Denn am Ende des Jahres ist die Steuerlast, die das Paar zu erwarten hat, gleich hoch als wenn es sich in die Steuerklassen 4 und 4 begäbe.
Der Unterschied entsteht unter dem Jahr. Indem die Person, die die Steuerklasse 3 nutzt, sämtliche Freibeträge auf ihr Gehalt anrechnen kann, während die Steuerlast bei der Person in Steuerklasse 5 deutlich höher ist.
Angenommen ein Paar mit zwei Kindern verdient zweimal 2.000 € im Monat, bezahlt die eine Person keine Steuer, die andere Person hat jeden Monat eine steuerliche Belastung von über 334 € zu tragen.
Durchschnittlich beträgt der Unterschied in deutschen Paarhaushalten mehr als 200 € pro Monat.
Nun könnte man ja sagen, das ist ja kein Problem. Das Paar lebt zusammen, nutzt im Idealfall beide Einkommen fair als Familieneinkommen, hat vielleicht sogar ein gemeinsames Konto. Dann spielt das doch keine Rolle, oder?
Doch, es spielt eine Rolle. Nämlich deshalb, weil sämtliche Lohnersatzleistungen in Deutschland nicht vom Brutto, sondern vom Netto berechnet werden. Dazu gehört z.B. Elterngeld, Kinderkranktage, Arbeitslosengeld etc. D.h. die Person, die die Steuerklasse 5 hat, erwirbt weniger Ansprüche in all diesen Bereichen.
Insgesamt tragen Frauen in Deutschland dadurch eine steuerliche Mehrbelastung von insgesamt 5 Mrd. Euro.
Ehegattensplitting verschärft die Situation zusätzlich
Besonders attraktiv ist die Steuerklassenwahl 5/3, wenn die Einkommensunterschiede sehr groß sind. Bis zu 20.000 € Steuer lässt sich in dieser Konstellation vermeintlich sparen. Je mehr sich die Gehälter der Ehepartner annähern, desto mehr verschwindet der Effekt des Ehegattensplittings, was zu der absurden Situation führt, dass eine Stundenerhöhung der Frau in der Erwerbsarbeit, nicht mit einer angemessenen Erhöhung des Familieneinkommens einhergeht.
In dieser Darstellung wird deutlich, dass bei gleichbleibendem Bruttoeinkommens des Mannes, die Steigerung des Bruttoeinkommens der Frau kaum merklichen Einfluss auf das Familieneinkommen hat. D.h. die Frau erhöht ihre Erwerbsstunden, die Familie erzielt aber kaum einen merklichen Effekt dadurch.
Quelle: DIW
Nun kann man natürlich sagen, die Frau erwirbt durch dieses Verhalten Rentenansprüche und erhält sich ihre finanzielle Unabhängigkeit. Das stimmt.
Doch hat dieses Paar Care-Arbeit zu leisten, die zusätzlich zu der Erwerbsarbeit Zeit beansprucht.
Zeit ist die Währung der Care-Arbeit
Wenn es sich vermeintlich nicht lohnt, mehr Zeit in Erwerbsarbeit zu investieren, weil das Familieneinkommen davon nicht wesentlich beeinflusst wird, dann lässt sich erklären, warum das Einverdienermodell immer noch oft gewählt wird. Finanziell macht es kaum einen Unterschied, in der Arbeitsbelastung aber schon. Menschen entscheiden sich oft auch aus dem Moment heraus und planen nicht langfristig. Sie sehen ihr aktuelles Netto und denken nicht darüber nach, dass diesem Verhalten Altersarmut folgen kann.
Das meine ich nicht be- oder verurteilend. Aktuell werden wir mit unserer Care-Arbeit ebenfalls nicht angemessen unterstützt, was man an der Kita-Krise oder dem Pflegenotstand gut sehen kann. Wenn es in einer Familie darum geht, die Anforderungen zu bewältigen, dann darf man keinen Vorwurf machen, wenn sie Entscheidungen treffen, die hier und jetzt für sie passen, um die Situation zu bewältigen.
Wenn sich Strukturen dann auch innerhalb der Partnerschaft etabliert haben, dann werden die auch nicht mehr ständig hinterfragt, was man auch daran erkennen kann, dass auch Frauen mit Kindern über 18 Jahren noch oft in Teilzeit arbeiten.
Und so sehen wir, wie der Staat durch Steuerpolitik das Verhalten von Menschen strukturell steuern kann.
Aktuell steuert er, entgegen dem Vorsatz im Koalitionsvertrag, sich für Gleichstellung einzusetzen, nicht in eine Zukunft, die Gleichstellung fördert. Er setzt nach wie vor starke Anreize für Lohnungleichheit zwischen Mann und Frau.
Frauen werden so weiterhin weitestgehend die unbezahlte Care-Arbeit leisten, während Männer für das Familieneinkommen sorgen.
Was kostet uns das als Gesellschaft und wollen wir das?
Ich bedanke mich recht herzlich bei Elisabeth Sechser und Dr. Christine Rudolf, die erstmalig die Summen berechnet hat, um die es sich handelt. Denn ein weiterer Gap, den wir seit Jahren zu beklagen haben, ist der DataGap.
Christine Rudolf und Elisabeth Sechser arbeiten am unabhängigen Institut #CloseEconDataGap für Deutschland, Österreich und der Schweiz, deren Ziel es ist, ökonomische Ungerechtigkeiten aufzuzeigen und zu beziffern und die ökonomischen Datenlücken zu schließen.
Weitere Informationen und die komplette Präsentation findest du direkt bei Caring Economy.
Foto von Mathieu Stern auf Unsplash